
Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren zahlen bei Familienvorstellungen auf allen Plätzen 10 €.
Schon im Vorfeld können sich Kinder und Jugendliche in Workshops gemeinsam mit ihren Eltern mit einer altersgerechten Einführung auf den Ballettbesuch vorbereiten, mehr zur Handlung erfahren, die Charaktere kennenlernen und kurze Szenen aus dem Stück tanzen. Der Workshop findet zwei Stunden vor Vorstellungsbeginn statt.
Anmeldung erforderlich
Telefon: 030 34 384-166
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«Das Theater selbst kann eine bewegte Wunderkammer sein»
Marcos Morau im Gespräch
Staatsballett Berlin (SBB) Dein neues Stück trägt den deutschen Titel Wunderkammer. Wie kam es zu dem Titel und welche Bedeutung hat dieser für dich?
Marcos Morau (MM) Titel müssen für mich auf mehreren Ebenen funktionieren: im Klang, in der Bedeutung und in den Assoziationen, die sie hervorrufen. Wunderkammer bezieht sich auf historische Kuriositätenkabinette, in denen Sammler ‹exotische› Objekte, Kuriositäten und groteske Artefakte anordneten, die eine Faszination für Abweichung und das Unbekannte widerspiegelten. Mich interessiert, dass der Wert dieser Wunderkammern weniger in den Objekten selbst lag, als in den Geschichten, die sie hervorriefen. Diese Sammlungen verbanden Schönheit und Furcht, Wunder und Fremdheit und enthielten oft ‹Monster›, wie seltene Tiere, anatomische Kuriositäten und Hybride, also Mischformen oder Objekte zwischen Natur und Kunst, Realität und Fantasie. Das waren im Grunde Objekte, die aus dem Kontext sozialer Normen gelöst wurden und die Wahrnehmung des ‹Fremden› herausforderten.
Einerseits werden in den Wunderkammern menschliche Neugier, aber auch Hierarchien und soziale Privilegien sichtbar: Wer konnte sammeln, wer konnte ausstellen, wessen Welt wurde repräsentiert? Für mich verkörpert der Titel Wunderkammer genau diese Spannung zwischen Faszination und Macht, zwischen Staunen und Aneignung. Er ist ein Raum des Entdeckens und zugleich des Hinterfragens von Andersartigkeit. Nach meinem Eindruck trägt das Wort selbst auf Deutsch eine poetische Resonanz und lädt das Publikum in eine bewegte, imaginative Welt zwischen Freude und Unbehagen ein.
SBB Wunderkammern haben eine lange historische Tradition. Wie nutzt du sie für deine künstlerische Vision?
MM Für mich bietet Geschichte einen Rahmen, um die Gegenwart zu befragen. Mein Ziel ist es jedoch nicht, die historischen Wunderkammern im wörtlichen Sinne nachzubilden. Stattdessen nutze ich die Konzepte, die in den Wunderkammern stecken, um meine Ideen sichtbar zu machen. Ich trage Fragen von Gemeinschaft und Individualität in mir, die ich auszudrücken versuche. Das Theater bietet eine Bühne, um Spannungen zu erzeugen, ohne sie zwingend auflösen zu müssen, ganz so wie eine Wunderkammer, die Objekte zeigt, ohne ihre Verbindungen zu erklären. Indem ich Vergangenheit und Gegenwart miteinander verknüpfe, versuche ich, einen Dialog im Hier und Jetzt anzustoßen.
SBB In den historischen Wunderkammern stecken auch koloniale Perspektiven und Machtansprüche. Wie reflektierst du in deinem Stück diese Verbindung von Neugier, Aneignung und Macht?
MM Wunderkammern spiegelten tatsächlich sowohl die Neugier als auch die Macht ihrer Schöpfer wider. In meinem Stück geht es mir um ähnliche Kontraste. Ich stelle mir das Theater selbst als eine bewegte Wunderkammer vor. Für mich ist die Bühne ein Raum, in dem das Unerwartete geschieht, Ideen aufeinandertreffen und Emotionen angeregt werden. Während historische Wunderkammern physische Sammlungen waren, konzentriert sich meine Arbeit auf immaterielle Erfahrungen, also Gefühle, Bewegungen und Atmosphären. Die Bühne wird zu einem Container für verschiedene Fragestellungen, ähnlich wie die historischen Kabinette eine Vielzahl von Objekten beherbergten, die jeweils ihre eigene Geschichte erzählten und gleichzeitig zu einem größeren Narrativ von Neugier und Staunen beitrugen.
SBB Was sind die zentralen Themen deiner Wunderkammer?
MM Das Stück erforscht Freiheit, Neugier und die Spannung zwischen Ordnung und Chaos. Ich möchte die Idee von ‹Schönheit› der Abweichung und Fremdheit gegenüberstellen. Mich inspirierten die nächtlichen Welten vom Kabarett und die düsteren Welten des Nachtlebens, in denen grotesker Humor, spielerische Übertreibung und eine Aura des Verborgenen aufscheinen, und in denen inmitten gesellschaftlicher und kultureller Umbrüche Rebellion aufkeimen konnte. Ich habe mich gefragt, warum in Berlin gerade während der Weimarer Zeit so viele Kabaretts und Nachtclubs entstehen konnten. Diese Etablissements waren höchst unterschiedlich: Neben kommerziellen, eskapistischen Formen existierten auch Bühnen, die gesellschaftliche Normen hinterfragten, politische Inhalte verhandelten und marginalisierten Gruppen Sichtbarkeit boten. Manche boten Freiräume für Experimente und alternative Lebensentwürfe, andere dienten vor allem der Unterhaltung und Ablenkung. In dieser Vielfalt spiegelte sich die Ambivalenz der modernen Großstadtnacht: ein Nebeneinander von Aufbruch und Anpassung, von künstlerischer Grenzüberschreitung und kommerziellem Vergnügen, während draußen die Welt aus den Fugen geriet. Diese Orte hießen das ‹Andere› willkommen, doch selbst dort drangen die Unruhen der Außenwelt ein.
SBB Wie arbeitest du mit den Tänzerinnen an so einem Projekt?
MM Ich fordere sie gern heraus, ihre gewohnten Grenzen zu überschreiten. In den Proben dürfen sie improvisieren, singen, sprechen, sie sollen die Gruppe führen und spontan reagieren können. Unterschiede und ‹Fehler› werden dabei als kreatives Material verstanden und integriert. In Wunderkammer verkörpern die Tänzerinnen die Vielschichtigkeit einer Wunderkammer, manchmal in völliger Synchronität, manchmal in Soli oder Duetten, einige Tänzer*innen werden singen, andere bleiben stumm.
SBB Wenn es um die Interpretation deines Stückes geht: Wie sollte das Publikum auf Wunderkammer reagieren? Sollen sie über seine historischen Ursprünge nachdenken oder sich ganz auf die Gegenwart konzentrieren?
MM Im Idealfall beides. Ich möchte, dass das Publikum unmittelbar in die Aufführung eintaucht und gleichzeitig ihre tieferen Schichten wahrnimmt. Wunderkammer enthält für mich auch Zynismus und Kritik, ich möchte den Lauf der Geschichte, die Fragilität der sozialen Systeme, auf die wir angewiesen sind, und politisch-soziale Spannungen infrage stellen. Historische Wunderkammern waren Orte des Staunens, aber auch Räume der Ausgrenzung und Einverleibung. Das Stück erforscht Themen rund um Freiheit, Kreativität und die Suche nach Menschlichkeit in Zeiten des Umbruchs. Jede Aufführung ist als Dialog mit dem Publikum gedacht. Ich möchte es einladen, über seine eigenen Wunderkammern nachzudenken, jene inneren Räume, in denen Erfahrungen, Erinnerungen und Träume gesammelt werden, um sich gleichzeitig den komplexen Widersprüchen der Welt um uns herum zu stellen.
Entnommen aus dem Programmheft
Das Gespräch führte Katja Wiegand













