Thu 13.04.2023
Wir trauern um Pierre Lacotte
»Während meiner Nachforschungen über die romantischen Ballette suchte ich nach Unterlagen, nach Notationen, Übungen. Ein anderesmal suchte ich nach der Partitur oder nach szenischen Drehbüchern. Jedesmal aber spürte ich die magische Kraft, die diese Ballette enthalten. Ich bin davon überzeugt, dass sie auch heute noch in der Lage sind, die Zuschauer zu ergreifen, weil das menschliche Dasein ohne Träume unvorstellbar ist.« [Pierre Lacotte im Programmbuch »Le Lac des fées«, Berlin 1995]
Mit diesem Bekenntnis und der Überzeugung, dass keine so genannte Rekonstruktion eines Balletts je wirklich authentisch sein könne, sondern eher den Geist der Epoche veranschaulichen müsse, hat er seinen eigenen Weg beschritten, um in die historische Stilistik des Balletts einzutauchen, um sie in die Gegenwart zu holen und auf die Bühne zu bringen.
1932 in Paris geboren, erhielt Pierre Lacotte seine Tanzausbildung an der Ballettschule der Pariser Oper, wurde 1946 ins Corps de ballet verpflichtet und trug ab 1951 den Rang des Ersten Solotänzers. Er tanzte ein außergewöhnliches großes klassisches Repertoire, gründete 1955 seine eigene Compagnie und nahm weiterhin Engagements als Gast in aller Welt wahr. Seine erste Choreographie schuf er für das belgische Fernsehen, er erhielt Aufträge für Festivals, für die Pariser Oper und war alsbald ein gefragter Choreograph.
1968 unternahm er den Versuch, Paul Taglionis »La Sylphide« zu rekonstruieren, seinerzeit war ungewohnt und neu, mit dem Erbe umzugehen. Seine halb wissenschaftliche halb intuitive Arbeitsmethode führte ihn bis zuletzt zu den namhaftesten Compagnien und in die abgelegensten Archive in der ganzen Welt. Fortan hat er sich überwiegend der Rekonstruktion historischer Choreographien gewidmet. Er erarbeitete »Coppélia«, »La Fille du Danube«, »Giselle«, »Nathalie ou la laittère suisse«, »Marco Spada«, »La Gitana«, »L‘Ombre«, »Schwanensee«, »La Fille du Pharaon«, »Der Nussknacker«, »Paquita« und viele weitere Werke. Zuletzt hatte das Berliner Publikum 2008 die Gelegenheit, zwei Werke in seiner Lesart zu erleben, »La Vivandière« und »Le Papillon«, die er mit den Tänzer:innen des Ensembles persönlich einstudierte, unnachahmlich fordernd und inspirierend zugleich.
Eine seiner wichtigsten Arbeiten wurde aber 1995 »Le Lac des fées« oder »Der Feensee«. Als Kenner der Werke des für Berlin so wichtigen Choreographen Paul Taglioni wurde er beauftragt, das im 19. Jahrhundert an der Königlichen Hofoper in Berlin gezeigte Ballett zum Leben zu erwecken. Er unternahm eine langwierige und umfangreiche Recherche zu Bewegungsmaterial, Musik, Dekor und Kostüm, die er auf der Grundlage von Materialien begann, die in der Staatsoper Unter den Linden zum Ballett »Der Feensee« archiviert waren.
Der französische Tänzer und Choreograph Pierre Lacotte hat seine Spuren in der Berliner Ballettgeschichte hinterlassen, sondern zugleich die Aufmerksamkeit auf einen Schatz der Berliner Ballettgeschichte gelenkt. Das Staatsballett Berlin denkt in großer Dankbarkeit an die Zusammenarbeit mit Pierre Lacotte zurück.
PIERRE LACOTTE
Choreograph
1932 – 2023