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Mi 01.12.2021 Staatsballett Berlin

Tanz in Spanien

Heißt es nun »bailar« oder »danzar«? Und wie finden klassisches Ballett und Flamenco überhaupt zueinander? Unser kleines Glossar gibt Aufschluss über die Tanzstile in Víctor Ullates DON QUIXOTE.

Der junge Víctor Ullate vor Publikum, Foto: Archiv Víctor Ullate Der junge Víctor Ullate vor Publikum, Foto: Archiv Víctor Ullate
 

Die spanische Sprache kennt zwei Wörter für den Tanz
»In Spanien gibt es eine alte Polemik über die Bedeutung der beiden Wörter ›bailar‹ und ›danzar‹, (span., ›tanzen‹), die über eine etymologische Betrachtung hinausreicht. »Für […] die einen verweist das Wort ›danza‹ auf Kunstfertigkeit, Kompliziertheit, Kultur, Zartheit, Reichtum, für […] andere gilt das Gegenteil, nämlich, dass seit jeher ›el baile‹ und nicht ›la danza‹ zu den schönen Künsten gerechnet wird. Üblich ist auch der Versuch, den Widerspruch aufzulösen, indem formuliert wird, dass die Bezeichnungen ›bailar‹ und ›danzar‹ schon immer aufeinander bezogen gewesen seien. Meiner Meinung nach verbirgt sich hinter dieser Polemik aber etwas Tieferes; es geht um die Kontroverse über das Primat des Instinkts vor dem Intellekt.«

Vicente Marrero Suarez, »El acierto de la danza española«, Madrid 1952.

Andalusien
Einer der Sehnsuchtsorte des Romantischen Zeitalters war Andalusien. Auf den für das Ballettgenre typischen Lithographien sind häufig andalusische Städte wie Sevilla, Cádiz, Córdoba oder Granada zu erkennen mit ihrer maurisch geprägten Architektur. Das Gebiet »al-Andalus«, das sich vom 7. bis zum 15. Jahrhundert unter islamischer Herrschaft über bis zu drei Viertel der iberischen Halbinsel erstreckte, war ein »mediterran geprägter Kulturraum«*, in dem ― aus der heutigen Sicht ― in religiöser und kultureller Koexistenz von Islam, Judentum und Christentum der Weg in die moderne Welt eröffnet wurde. Der menschliche Austausch zwischen ethnischen Gruppen, unter Gelehrten, Künstlern, Wissenschaftlern war ein natürlicher Vorgang, der seine Spuren bis heute hinterlassen hat, vielleicht auch in einer rätselhaften Vieldeutigkeit, die mit der Vorstellung davon, was »spanisch« sei, verbunden ist.

*Brian Catlos, »al-Andalus. Geschichte des islamischen Spanien«, München 2019.

Tanz-Wissen
Das spanische Wissen über seine eigene Tanzgeschichte wird dominiert von der Betrachtung der Tänze selbst. Detaillierte Studien zu den Tanzformen der Folklore, zu ihrer jeweiligen, oft äußerst komplexen musikalischen und tänzerischen Struktur, ihren regionalen Verortungen und Wandlungen durch die Jahrhunderte, stehen zumeist im Mittelpunkt des Nachdenkens über den Tanz. Zugleich gehört die Kenntnis der spanischen Tänze in weiten Teilen der spanischen Bevölkerung zum allgemeinen Wissen, d. h. es ist selbstverständlich bekannt, was etwa eine Seguidilla, ein Fandango oder eine Jota ist, welche Rhythmen und ggf. auch Gesänge jeweils damit verbunden sind.

Escuela Bolera
Am Anfang des 19. Jahrhunderts, als Spanien sich von der Besatzung durch Napoleon (mit dem Krieg von 1807 bis 1814) befreit hatte, eroberten zunächst spanische Tänzerinnen die Bühnen der damaligen Balletthochburgen, Paris und London, und befruchteten die Herausbildung des klassisch-romantischen Balletts. María Mercandotti, Petra Cámara, Manuela Perea, Pepita Oliva, Dolores Serral und Mariano Camprubí, Manuela Dubiñon, und sodann Fanny Elssler, Marie Taglioni, Marie Guy-Stéphan, Lise Noblet, so hießen sie. Für sie wurden Ballette und Divertissements geschaffen, die LA GITANA, LES OLES oder L’ETOILE DE GRENADE.

Für die Verschmelzung des klassischen mit dem spanischen Tanz kam zugleich der Begriff der »Escuela Bolera« auf. Der Bolero wiederum, galt im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts, von Südspanien und Kastilien kommend, als Nationaltanz, der zuerst von ›Maja‹ und ›Majo‹, also von einer Generation jüngerer Spanierinnen und Spanier getanzt wurde, die sich ostentativ von allem Französischen absetzten und ihre spanische Identität frivol und provozierend inszenierten.

Flamenco
Als eigenständige Kunstform entstand der Flamenco, dessen Ursprünge bis heute ungewiss sind, und der wie kaum ein anderes kulturelles Phänomen in Spanien erforscht wird. Eine der wesentlichen Forschungsrichtungen sucht sowohl »die Komplexität der Rolle der ›Gitanos‹ bei der Genese des Flamenco zu begreifen als auch zu verstehen, wie die spanischen Rom:nja selbst den Flamenco historisch wahrgenommen haben«. Miguel Ángel Vargas Ihre Profession, mit Tanz und Musik den Unterhalt zu verdienen, übten die »Gitanos« in allen spanischen Provinzen aus, wo sie zu christlichen oder sozialen Festen, in den Straßen, Tavernen oder späterhin auch auf eigens errichteten Bühnen auftraten. Außer in den traditionellen Veranstaltungen findet der Flamenco heute zeitgenössische Ausdrucksformen in variantenreichen Inszenierungen auf unterschiedlichsten Theaterbühnen, die kaum dechiffrierbar sind, ist man mit den Grundstrukturen nicht vertraut. Die Popularität zeigt sich auch in spanischen TV-Formaten, in denen das Prinzip der verabredeten Improvisation (mit Gitarre, rhythmischem Klatschen, Gesang und Tanz) von Vertretern aller Genres, vom Stand-Up-Comedian bis zur Opernsängerin, als unterhaltsamer Wettbewerb zelebriert wird.